Amalthea
Amalthea
Nach der wie erwartet visionsfreien und aus bundespräsidialen Allgemeinplätzen bestehenden Weihnachtsansprache muss ich mal einen Gegenpol setzen. Unserem Land geht es schlecht. Richtig schlecht. In Zeiten einer weltweiten Finanzkrise, wo wir Ideen für die Zukunft des Landes bräuchten, werden wir regiert von einer machtgeilen Polit-Mafia, die sich am von uns mit Steuermitteln gefüllten Büffet bedient um dem Geldadel und der selbstgekrönten Arroganz-Elite dieses Landes die Taschen zu füllen. Das intellektuelle Bürgertum, also die viel zitierten Dichter und Denker des Landes, werden von diesen neuen Feudalherren in die soziale Unterschicht gedrückt, damit die eigene Mittelmäßigkeit aus der bildungsfernen Masse mehr heraussticht.
Die eingesetzten Maßnahmen sind so vielfältig wie gesellschaftsfeindlich. Da werden nach italienischem Vorbild die Medien auf Linie gebracht und Zugang zu Nachrichten vom Reichskulturaufseher argumentativ zur Wirtschaftsschädigung vergewaltigt. In Zweifel ist ein Arbeitsplatz beim Hofberichterstatter Springer eben mehr Wert als unabhängiger Journalismus, zumal ersterer seine Dankbarkeit in Parteispenden ausdrückt. Sozial ist, was Arbeit schafft. Besonders, wenn der Arbeitgeber Parteifreund ist.
Neben Nachrichten klassischen journalistischen Ursprungs ist natürlich das unkontrollierte Internet ein weiterer Feind der digitalen Analphabeten unserer Junta. Deshalb muss es bei jeder Gelegenheit als ein Hort von Kinderschändern, Bombenbauern und Rechtsradikalen gescholten werden um aus diesem Zerrbild heraus die Bevölkerung für umfassende Überwachungs- und Zensurmaßnahmen nach chinesischem Vorbild zu gewinnen. Freie Meinungsäußerung führt schließlich nur zu ungewollten öffentlichen Debatten, die in unserem System der scheinparlamentären Funktionärsoligarchie unerwünscht sind. Da die Mächtigen die Arroganz besitzen, auch gegen anerkannte Experten alles am Besten zu wissen, ist eine abweichende Meinung zu unterdrücken. Sie würde den Stimmpöbel nur verwirren. Und überhaupt braucht die Meinungsäußerung nicht speziell geschützt zu werden, solange alle nur die abgesegnete Regierungsmeinung wiederkäuen. Und die anderen sind sowieso Radikale, die bekämpft werden müssen. In diesem Zusammenhang ist das Verbotsverfahren der NPD eine gute Übung, wie mit unangenehmen Meinungen in diesem Land umzugehen ist. Früher galt das Credo, dass Meinungsfreiheit gerade für die unpopulären Meinungen gilt. Heute wäre das zu demokratisch.
Überhaupt ist echte Demokratie gefährlich für den Machterhalt unserer Oberschicht. Zu echter Demokratie würde echte Wahlmöglichkeit gehören, aber an Gabriele Pauli und Martin Sonneborn wurde vorexerziert, wie neue Parteien einfach aus dem System gedrängt werden. Der Wahlzettel soll für das dumme Volk eben möglichst einfach sein. Am Besten mit der machthabenden Partei schon vorgekreuzt. So gesehen könnte man ehrlicherweise die Wahlzettel nach DDR-Schema wieder einführen: „Ich bin für eine deutsche Bundesregierung.“ Mit welchen der etablierten Volksparteien sie dann besetzt wird, ist ja eigentlich konsequenzlos.
Einen weiteren, wichtigen Feind haben die Parteien im demokratischen System teutscher Prägung auf ihrem Weg zum absoluten Machtanspruch natürlich nicht übersehen: die Bildung. Es wird zwar viel und gern über sie geredet, weil sie ein populäres Thema ist, aber gemacht wird wenig. Bildung wäre für ein Land, dessen einzige nenneswerte Ressource seine Denkleistung war, ein wichtiger Motor für den Fortschritt. Aber mit zuviel Bildung würde das Volk sich seiner zwischen Minijobs und Casting-Shows verkümmernden mentalen Fähigkeiten vielleicht wieder bewusst werden. Stattdessen hören wir polemische Argumenten gegen das kostenlose Studium, das die arme Verkäuferin mitfinanziert. So wird Zwietracht in der Bevölkerung gesäht und der Intellektuelle als unsozial gebrandmarkt und der Missgunst der Massen ausgesetzt. Aber ein kluger Wähler, der das billige Puppentheater der Politiker durchschaut, wählt am Ende die großen Volksparteien nicht mehr. Deshalb ist es nur konsequent, dass mit dem Bologna-Prozess das in Jahrhunderten gewachsene deutsche Universitätssystem im Handstreich vernichtet wird. An den neuen Abfüllstationen für industrierelevanten Lehrstoff steht nämlich das zum Prüfungstermin abrufbereite Faktenwissen im Vordergrund. Für eigenes Denken bleibt da kein Raum. Ziel der Ausbildungsmaschinerie ist schließlich der sofort arbeitsplatzfähige Praktiker um der Industrie das lästige Ausbilden zu ersparen. Und wofür brauchen wir schon Geisteswissenschaftler. Die tragen doch nichts zum Bruttoinlandsprodukt bei. Da klingt es wie Hohn, dass der Begriff „Universität“ auf universale Bildung abzielt.
Und als ob diese düstere Bestandsaufnahme noch nicht genug wäre, der Blick nach vorn ist nicht minder erschreckend. Gerade wird laut über eine Mehrwertsteuer-Erhöhung auf 25% nachgedacht. Damit könnte man ja leben, wenn man wüsste, dass alle anderen Sparmöglichkeiten ausgeschöpft wurden und die Steuereinnahmen zur nötigen Schuldentilgung verwendet würden. Aber stattdessen wird von uns Geld erpresst, mit dem nach den Hoteliers weitere Lobbygruppen hofiert werden können. Der kleine Arbeiter wird also weiter in die Armut getrieben, wo er durch Stress und Depression ausufernde Krankheitskosten verursacht. Damit diese nicht die Anti-Falten-Therapien der Reichen gefährdet, wird demnächst nach den darwinistischen Plänen unseres Gesundheitsministers die Krankenversorgung umgestaltet. Alle zahlen denselben Beitrag. Mit dem Effekt, dass die Reichen genug Geld für private Zusatzversorgung übrig haben und damit Zutritt zur Premium-Behandlung bekommen. Der mittellose Rest bekommt vom Staat nur noch das billige Schmerzmittel und den Gnadenschuss als Almosen. Die absehbaren sozialen Unruhen werden wohl nur durch den Ausbau des Polizeistaates in den Griff zu bekommen sein. Schließlich müssen die Paläste der Leistungsträger vor dem marodierenden Pöbel geschützt werden.
Was müsste denn geschehen, um die Lage zu ändern? Was wir bräuchten, wäre der politische Wille, die Problem zunächst zu erkennen, dann dem Volk die Wahrheit zu sagen, dann eine Lösung zu entwickeln und diese dann Schritt für Schritt umzusetzen. Was wir bräuchten, wären Politiker mit der Reform im Geiste und der Revolution im Herzen. Al Gore sagt, dass politischer Wille ein nachwachsender Rohstoff ist. Das trifft vielleicht auf Amerika zu. Für Deutschland denke ich eher wie Georg Schramm: „Die Titanic ist zu recht untergegangen, aber sie ist umsonst untergegangen, denn wir haben nichts gelernt.“ In diesem Sinne: Frohe Weihnachten.
Die Titanic ist zu recht untergegangen, aber sie ist umsonst untergegangen, denn wir haben nichts gelernt. — Georg Schramm
#politik
Zur Lage der Nation
Samstag, 26. Dezember 2009