Amalthea
Amalthea
Leider bin ich diesmal absolut nicht qualifiziert, eine umfassende Meinung zu diesem Film von mir zu geben, denn ich muss offen gestehen: Ich habe ihn immer noch nicht verstanden. Und das liegt nicht daran, dass der Film unklar wäre. Die konkreten Ereignisse auf der Leinwand versteht man sehr wohl, nur wenn man versucht, einen kausal schlüssigen Zusammenhang zu finden, wird man irre. Genau darin liegt jedoch das Verlockende an diesem Film und darin zeigt sich das Genie von David Lynch: Dieser Thriller ist ein Puzzle für den Zuschauer. Ich habe es bisher nicht zusammensetzen können und ich weiß nicht, ob das überhaupt geht; aber eins scheint klar: Man muss einige gewohnheitsmäßige Annahmen über Bord werfen, um einen Weg zur Lösung zu finden: Warum soll die zeitliche Abfolge der Ereignisse auf der Leinwand der tatsächlichen entsprechen? Warum müssen verschiedene Charaktere von verschiedenen Schauspielern gespielt werden? Warum sollte die Zuordnung von Namen zu Personen nicht variabel sein? Warum sollten Dialoge, Szenen, ja die ganze Handlung überhaupt konsistent sein?
Das zu lösende Rätsel liegt also nicht wie bei einem Krimi in der Handlung, sondern im Film selbst. David Lynch hat einen großen Irrgarten für den Zuschauer gebaut, der durchaus auch Sackgassen enthält. Doch David-Lynch-typisch gibt es eine Brotkrumenspur im Film: verrückte Gegenstände und verrückte Charaktere, die einem immer wieder ins Auge fallen. Ebenfalls Lynch-typisch ist die Metaebene, auf der der Film operiert: Es gibt Bühnen und Filmsets im Film, Darbietungen in der Darbietung.
Handwerklich ist der Film guter Durchschnitt. Die Schauspieler mussten sich wohl auf die Führung des Regisseurs verlassen, es sei denn, sie haben eine Gebrauchsanweisung zum Drehbuch bekommen. Dem Zuschauer hat Verwirrer Lynch auch eine Liste von zehn Hinweisen zum Entschlüsseln des Films mitgegeben. Vielleicht ist sie ja hilfreich, deshalb werde ich sie hier zitieren:
1.Achte besonders auf den Anfang des Films: Mindestens zwei Hinweise werden vor den Credits enthüllt.
2.Verfolge das Auftauchen des roten Lampenschirms.
3.Kannst Du den Titel des Films hören, für den Adam Kesher Schauspielerinnen vorsingen lässt? Wird er noch einmal erwähnt?
4.Ein Unfall ist ein schreckliches Ereignis... Beachte den Ort des Unfalls.
5.Wer verteilt einen Schlüssel und warum?
6.Verfolge das Abendkleid, den Aschenbecher, die Kaffeetasse.
7.Was wird im Club Silencio gefühlt, erkannt und gefolgert?
8.Hat Talent allein Camilla geholfen?
9.Beachte die Vorfälle, die den Mann hinter Winkie's umgeben.
10.Wo ist Tante Ruth?
Ich wünsche allen noch viel Spaß beim Enträtseln dieses genial konstruierten Films.
Filmkritik: Mulholland Drive
Sonntag, 7. Juli 2002