Amalthea
Amalthea
Zunächst einmal sollte ich alle die den Film noch nicht gesehen haben warnen, auf keinen Fall weiter zu lesen sondern schleunigst Kino, Videothek oder DVD-Händler aufzusuchen. Es lohnt sich. Und es lohnt sich noch mehr, wenn man die Pointe nicht kennt. Glücklicherweise haben diesmal auch die Kritiken und Vorankündigungen still gehalten, so dass auch gut informierten Kreisen die Überraschung garantiert ist. Auch im Trailer wird ausnahmsweise mal nicht das Ende ausgeplaudert, dafür hat die Marketingabteilung von Touchstone den Film völlig falsch beworben. Wer nämlich der Werbung glaubt und einen Horrorschocker erwartet, wird enttäuscht werden. So wären auch bei meinem Besuch große Teile des Publikums in „Resident Evil II“ oder ähnlichen austauschbaren Machwerken von der Stange besser aufgehoben. Hier gibt es statt dessen die typische Shyamalan-Mischung aus Spannung, Subtilität, Grusel, einer klugen Auflösungen und einem noch klügeren Subtext. Nur ist Shyamalan eben weder Studios noch Kritikers Liebling, denn wer versucht, ihn in den Mainstream zu pressen, wird scheitern. Glücklicherweise kümmert das den gebürtigen Inder mit dem Faible für die Indianer wenig. Mit seinem vierten großen Film hat er seine stilistische Sicherheit einmal mehr bewiesen und gehört damit zu den wenigen Nachwuchsregisseuren Hollywoods, die noch nicht verbruckheimert wurden und deren Filme mehr vom Kopf ansprechen, als nur Netzhaut und Trommelfell.
Der Film selbst handelt oberflächlich vom Leben in einem gründerzeitlichen Dorf, das von Monstern aus dem Wald tyrannisiert wird. Bezüglich dieser Monster durchlebt der Zuschauer im Laufe des Films verschiedene Ansichten: Zuerst könnte man an einen Aberglauben denken, bis man die Monster tatsächlich sieht. Dann erfahren wir, die Monster wären ein Trick, um die Dorfbewohner am weggehen zu hindern, doch mit einem geschickt platzierten Selbstzitat hält Editor Christopher Tellefson den Zweifel aufrecht und die Handlung in der Schwebe, bevor er den Film behutsam auf die Zielgerade einschwenken lässt. Mehr noch als bei den drei Vorgängern kommt das Ende diesmal nicht als Paukenschlag, sondern das Publikum wird schrittweise zum Zweifeln gebracht.
Das Dorf selbst, das in seinem Leben und Leiden fast schon einen eigenständigen Charakter darstellt, wird greifbar durch das realistische Production Design von Tom Foden und die Kostüme von Ann Roth, die ihre Erfahrungen aus „Cold Mountain“ einbringen konnte. Jedes Haus im Dorf scheint seine eigene Geschichte erzählen zu wollen. Roger Deakins hat sich diesmal was die Beleuchtung angeht selbst übertroffen, besonders in den Nachtszenen. Rückbeleuchtete Häuser und weißglühende Nebelbänke, davor ein leerer Schaukelstuhl; die Bildsprache hat etwas lyrisches.
Doch all das wäre nur leere Kulisse, würden nicht die Schauspieler unter Shyamalans Regie ihren Charakteren eine Glaubwürdigkeit verleihen, die sich von den stereotypen Abziehbildern sonstiger Big-Budget-Filme wohltuend abhebt. Die Besetzung ist bis in die Nebenrollen hochkarätig: Sigourney Weaver und William Hurt sind trotz ihrer relativ kurzen Auftritte prägnant und facettenreich. Der aus „Signs“ schon Shyamalan-erfahrene Joaquin Phoenix überzeugt durch Zurückhaltung: Keiner kann so intensiv schweigen wie er. Doch die echte Entdeckung ist Bryce Dallas Howard als die blinde Dorfvorsteherstochter Ivy. Sie wirkt sympathisch und stark, aber doch auch verletzlich, ohne dabei den Blinden-Mitleidsbonus zu strapazieren. Wir dürfen uns hoffentlich auf weitere Filme freuen.
Aber Shyamalan wäre nicht das Genie, wenn der Kern des Films nicht unter der Oberfläche läge. Als Nebenbemerkung sei hier erwähnt, dass der immer genannte „The Sixth Sense“ aufgrund seiner Direktheit eigentlich der untypischere Shyamalan-Film ist. „The Village“ ist eigentlich eine Zivilisationskritik. Das Dorf als Utopia seiner Gründer wird von nichts anderem Bedroht, als der harschen Realität, symbolisiert durch die Monster aus dem Wald, deren Name „die Unaussprechlichen“ auf einen nicht in Worten greifbaren, diffusen Feind deutet. Die Realität selbst ist brutal und gefühlskalt, pikanterweise verkörpert durch den Regisseur selbst in seinem obligatorischen Gastauftritt als teilnahmsloser Reservatshüter hinter der Zeitung, die voll von schlimmen Nachrichten ist. Doch Shyamalan zeigt uns auch den Ausweg: Einfalt, Neid, Missgunst und Heimtücke, durch den Dorftrottel und sein Verbrechen reflektiert, werden durch Liebe, Mut, Mitgefühl und Selbstaufopferung von Ivy besiegt. In Shyamalans Augen besteht also noch Hoffnung. Hoffen wir, dass er recht hat und dass möglichst viele versuchen, diesen Film und seine Aussage wirklich zu verstehen.
Filmkritik: The Village – Das Dorf
Mittwoch, 15. September 2004