Amalthea
Amalthea
Kurzgeschichten von Philip K. Dick waren schon öfter ein Garant für spannendes und hintergründiges Science-Fiction-Kino. „We Can Remember It For You Wholesale“ war die Vorlage für Verhoevens „Total Recall“ und „Do Androids Dream of Electric Sheep?“ lieferte die Ideen zu Ridley Scotts „Blade Runner“. Diesmal hat Steven Spielberg sich eine weitere Kurzgeschichte vorgenommen und daraus nach „A.I.“ eine weitere Zukunftsvision geschaffen. Da Spielberg auch sein bewährtes Team wieder um sich geschart hat, ist „Minority Report“ optisch sehr an „A.I.“ angelehnt. Die Bilder von Janusz Kaminski haben dieselben unwirklich überstrahlenden Highlights und zeichnen mit ihren blassen Farben eine kalte, gefühllose Zukunft.
Die Handlung ist auf den ersten Blick eine typische Verfolgungsjagd: Polizist wird verraten, zu Unrecht beschuldigt und versucht, von seinen Verfolgern gehetzt, seine Unschuld zu beweisen. Hauptdarsteller Tom Cruise kennt so etwas ja schon aus „Mission Impossible“. Er ist auch hier wieder perfekt besetzt, da er fast alle Stunts selbst ausführt und deshalb den Gejagten viel glaubhafter und direkter darstellen kann. Doch die Story nur als Verfolgungsjagd zu bezeichnen, wäre bei Weitem nicht genug: Der Film ist mehr eine Entdeckungsreise durch eine sich auch in den kleinsten Details niederschlagende mögliche Zukunft und die Geschichte hat auch eine zum Nachdenken anregende metaphysische Seite.
Die zukünftige Welt wurde nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten regelrecht entworfen: Wissenschaftler und Professoren von namhaften Einrichtungen wie dem MIT überlegten sich, wie Technologie, Architektur und Alltagsleben im Jahre 2054 aussehen würden. Besonderes Augenmerk wurde natürlich auf die Verbrechensbekämpfung gelegt. Die Polizei hat hier einige überraschende Accessoires, die wir während der Konfrontation mit den Verfolgern erleben können. Abgesehen von einer zweifelhaften humorösen Eskapade sind die Verfolgungsjagden von Editor Michael Kahn wie immer meisterhaft geschnitten.
Zum Identifizieren von Personen werden in der Zukunft die Augen genutzt. Hier fühlt sich der genrekundige Zuschauer an „Blade Runner“ erinnert, wo das Auge als Spiegel der Seele auch eine zentrale Rolle spielt. Der dortige Augenmacher findet sein Pendant hier in dem zwielichtigen Chirurgen. Auch an seinen Freund Stanley Kubrick hat Spielberg hier möglicherweise gedacht: Die Klammern, die während der Operation die Augen des Helden offen halten, haben wir in „Clockwork Orange“ schon gesehen und da auch dieser Film das Thema Verbrechensverhinderung behandelt, schließt sich der Kreis. Hier beginnt dann auch der metaphysische Aspekt von „Minority Report“, denn in der Zukunft werden Morde vorhergesehen und die Verbrecher gefasst, bevor sie ihre Tat ausüben. Dies wirft natürlich zentrale philosophische Fragen auf, ob das Schicksal ein vorbestimmter Plan oder eine Kette von Zufällen ist und ob der Mensch wirklich einen freien Willen hat. Es gelingt sogar das Kunststück, diese schwierige Materie so zu verpacken, dass sie auch der philosophisch ungebildete Kinobesucher versteht.
Gerade weil der Film sehr zum Nachdenken über Zukunft und Schicksal anregt, sollte man ihn sich nicht entgehen lassen. Er zeigt eine hochtechnisierte, totalüberwachte und mit Werbung zugepflasterte Welt, in der ein heutiger Mensch nicht gern leben möchte. Gleichzeitig warnt er an „A.I.“ anknüpfend vor technologischem Missbrauch und ist bei aller Tiefsinnigkeit auch noch ein exzellenter Thriller, in dem jede Szene einen Spezialeffekt beinhaltet. Steven Spielberg hat wieder gezeigt, dass er zu den ganz Großen in Hollywood gehört und scheint sich auf Kubricks Spuren im Science-Fiction-Genre wohl zu fühlen, ohne dabei seine typische Unterhaltsamkeit einzubüßen.
Filmkritik: Minority Report
Freitag, 4. Oktober 2002