Amalthea
Amalthea
Man kann Comic-Verfilmungen wohl mit zwei grundsätzlichen Erwartungen begegnen: eine psychologisch detaillierte, ernsthafte bis düstere Demontage à la „Batman“ oder eine flippig-bunte Achterbahnfahrt. „Spider-Man“ gehört mehr in die lockere Rubrik, bietet aber trotzdem mehr. Der Film vermittelt eine nicht einmal aufgesetzt wirkende Botschaft von Verantwortung und schlägt einen kommerzwirksamen Bogen durch das romantische Genre.
Die Story des Stan Lee und Steve Ditko Comics ist alt. Peter Parker, der unscheinbare Junge aus der Nachbarschaft wird von einer Spinne gebissen und entwickelt fortan ein Zweitleben als wändekrabbelnder Weltenretter. Es ist die Einfachheit der Geschichte und die Eleganz und Freiheit der Fortbewegungsmethode in der Stadt der Wolkenkratzer, die dieses Comic zu einer der erfolgreichsten Marvel-Serien und Spider-Man zu einem der bekanntesten Superhelden machten.
Das Drehbuch stammt aus der Feder von David Koepp, der schon mit Scripten wie „Jurassic Park“ zeigen konnte, das er Action mit Hirn versehen kann. Daher beginnt die Story des Films auch ganz am Anfang: mit dem Biss der Spinne. Und auch danach nimmt sich der Film erfreulich viel Zeit für die Exposition. Peter Parker muss seine neuen Fähigkeiten erst kennenlernen und wirkt anfangs herrlich unbeholfen. Es macht viel Spaß, die Entwicklung zum Superhelden direkt mitzuerleben. Natürlich darf hier auch ein guter Schuss Selbstironie nicht fehlen: die Wrestling-Szene veralbert auf köstliche Weise sowohl Namen als auch Kostüm des Helden, sie dient aber geschickt auch gleichzeitig als Aufhänger für die Schlüsselszene des Films: den Tod von Peters Onkel und Ziehvater. Der Film entwickelt ab hier ein gutes Tempo. Das Editorenteam aus Arthur Coburn und Bob Murawski setzen sogar Comic-typische Elemente der Kompression von Denkendem und Gedanken in ein Bild und auch Trickblenden ein. Die Kamera wird mit der Entwicklung des Helden immer dynamischer und folgt diesem durch die computeranimierten Häuserschluchten. Die Sets hat Director of Photography Don Burgess sehr farbenfroh fotografiert. Spider-Man ist im Gegensatz zu seinem mit der Dunkelheit verschmelzenden Kollegen Batman auch bei Nacht immer gut zu erkennen.
Das Erfreulichste des Films ist die überraschend gute Besetzung. Obwohl man bei eher flachen Figurvorlagen sonst in Comic-Verfilmungen keine schauspielerischen Glanzstücke erwartet, wird man hier eines Besseren belehrt. Regisseur Sam Raimi kann aus Peter Parker tatsächlich einen Menschen machen. Die Besetzung geht mit Tobey Maguire auch gehörig gegen den Strich, würde man doch eher einen muskelbepackten Schönling in der Rolle eines Superhelden erwarten. Doch Tobey Maguire ist einfach der perfekte Spider-Man, vom Aussehen her ein netter Allerweltstyp, mit dem sich jeder sofort identifizieren kann; und doch hat er die wichtige Gabe, selbst in voller Maskierung und seines Gesichts als Ausdrucksmittel beraubt, seinen Charakter glaubhaft und erkennbar darzustellen. Auch der restliche Cast ist geschickt besetzt: Die Szenen mit Kirsten Dunst haben das gewisse Knistern in der Luft, das für romantische Szenen gebraucht wird und Willem Dafoe ist ein einmaliger Bösewicht, was er vor Allem im Gespräch mit seinem eigenen Spiegelbild zum Ausdruck bringt. Sam Raimi versteht es, das ganze Orchester aus Schauspielern, Kameras und Special Effects stimmungsvoll zu dirigieren. Wahrscheinlich haben ihm seine Erfahrungen als Produzent zahlreicher TV-Serien hier geholfen. Die Effektszenen sind für einen Action-Kracher dieses Kalibers naturgemäß zahlreich, an vielen Stellen ist sogar der Hauptheld digital. Leider wirken die Bewegungen aber zum Teil sehr weichgespült und gummiartig, hier wäre ein Stuntman manchmal glaubhafter gewesen.
Bis hierhin könnte der Film eigentlich die perfekte Comic-Verfilmung sein: bunt, kitschig, sentimental und schauspielerische, handwerkliche und erzählerische Spitzenklasse, wäre da nicht dieses vergurkte Ende. Aber da das originale Ende Gebrauch vom New Yorker World Trade Center machte und dieses auf tragische Weise von der Bildfläche getilgt wurde, musste kräftig umgeschnitten und ein neuer Schluss gezaubert werden. Dieser hat natürlich aus Zeit- und Kostengründen mit einem deutlichen Qualitäts- und Ideen-Defizit zu kämpfen. Daher leidet „Spider-Man“ an dem Dilemma, dass das Vorgeplänkel dramatischer ist als der eigentliche Showdown. Dennoch ist Spider-Man auf alle Fälle sehenswert und macht Appetit auf mehr. Und da das Kinopublikum schon immer Abwechslung zur Realität auf der Leinwand suchte, haben in Zeiten des Terrorkriegs Superhelden natürlich Hochkonjunktur. Erst recht solche, die sogar die Farben des Sternenbanners im Kostüm verwenden. Also wird dies sicher nicht der letzte Spider-Man-Film sein. Der erste war es ganz sicher nicht, Nostalgiker sollten unbedingt den Abspann bis zum Ende verfolgen, es wartet ein Bonbon…
Filmkritik: Spider-Man
Freitag, 19. Juli 2002