Amalthea
Amalthea
Die durcheinander fliegenden Buchstaben in der Titelsequenz von „Spy Game“ erinnern ein wenig an „Sneakers“, einen Schnüfflerfilm mit Robert Redford. Auch der Name seines damaligen Charakters Bishop taucht wieder auf. Damit wären die Gemeinsamkeiten aber auch schon erschöpft. Dieser Film ist ein knallharter und erstklassiger Agententhriller. Dabei verliert er sich nicht in James-Bond-Gadget-Fetischismus, sondern wirkt sehr realistisch. Wie der Titel es andeutet, abgesehen von dem typisch dümmlichen deutschen Zusatz, geht es um geheimdienstliche Katz-und-Maus-Spielchen, bei denen jeder Katze und Maus gleichzeitig ist. Der Film kann sich in seiner Dramaturgie sogar mit dem Klassiker „Die drei Tage des Condor“ vergleichen, um einen weiteren Redford-Film zu nennen.
Die Story von Michael Frost Beckner ist geschickt angelegt: Das Metier von Robert Redford ist ein gegenwärtiger Handlungsstrang im CIA-Hauptquartier in Langley. Hier zeigt er sein Können als altgedienter, einsatzerfahrener Agent Nathan Muir, der mit datenauswertenden Bürohengsten kollidiert. In Rückblenden legt er episodenhaft den Werdegang des von ihm angeworbenen und ausgebildeten Agenten Tom Bishop dar. Durch diese Erzählweise kann der Film von mehreren Ereignissen berichten, ohne die Zeit dazwischen überbrücken zu müssen. Dennoch ist durch die Rahmenhandlung ein kontinuierlicher Spannungsaufbau gewährleistet.
Der Stil des Films trägt deutlich die Handschrift von Regisseur Tony Scott: Wie schon in „Der Staatsfeind Nr. 1“ wechselt die Kamera abrupt die Position und es wird schnell geschnitten. Editor Christian Wagner hat wohl von seiner früheren Zusammenarbeit mit Action-Choreograph John Woo profitiert. Da die Rückblenden an verschiedenen Orten, wie Vietnam, Berlin oder Beirut spielen, kommt auf den Production Designer die Aufgabe zu, die Orte unterscheidbar zu machen und jedem seinen Charakter zu verleihen. Norris Spencer, der für Tony Scotts Bruder Ridley Scott schon in „Black Rain“, „1492“ oder „Hannibal“ hervorragende Arbeit geleistet hat, schafft das auch recht gut. Trotzdem entschied man sich, dem Zuschauer die Orientierung zusätzlich durch unterschiedliche Färbungen zu vereinfachen, ähnlich wie in „Traffic“. Director of Photography Daniel Mindel hat die Szenen optisch gut im Griff, besonders die Büros im CIA-Gebäude gestaltet er interessant. Sehr überrascht hat mich die Musik von Harry Gregson-Williams. Ist er sonst für lockere, humorvolle Scores wie in „Chicken Run“ oder „Shrek“ bekannt, so liefert er hier eine passende Klanguntermalung, die sich obendrein noch den verschiedenen Schauplätzen anpasst.
Tony Scott inszeniert den Agentenstoff sicher. Robert Redford und Brad Pitt spielen gut zusammen und geben glaubhafte Agenten ab. Der einzige Wermutstropfen ist, dass sich Tony Scott, wie im „Staatsfeind Nr. 1“ nicht zu einer konkreten Aussage hinreißen lässt. Er enthält sich einer klaren Stellungnahme und zeigt alles sehr objektiv. Dabei fallen leider auch Motive von Figuren unter den Tisch. Warum Nathan Muir am Ende all seine Prinzipien über den Haufen wirft, bleibt im Dunkeln. Auf der anderen Seite ist Tony Scotts Meinungslosigkeit auch ein Schutz: Immerhin hat „Spy Game“, obwohl nicht sonderlich brutal oder verstörend, in den USA ein R-rating erhalten, vergleichbar mit unserem FSK18. Wer weiß, was bei einer deutlichen Kritik passiert wäre? Das gibt wieder Stoff für die Verschwörungstheoretiker.
Filmkritik: Spy Game – Der finale Countdown
Sonntag, 17. März 2002