Amalthea
Amalthea
Meine Erwartungen an einen Film des Duos Bruckheimer/Bay waren nach dem traumatischen Erlebnis von „Armageddon“ sehr gering, so war es dann auch nicht schwer, sie zu übertreffen. In der Tat ist „Pearl Harbor“ nach „The Rock“, „Armageddon“ und „The Patriot“ der beste Film, den ich aus besagter Produktion gesehen habe. Jerry Bruckheimer hat das getan, was er am Besten kann: Viel Geld ausgeben und eine riesige Materialschlacht abliefern. Die reichlich 150 Millionen Dollar waren gut angelegt: Hochkarätige Leute und namhafte Firmen wurden herangeholt, um das ehrgeizige und logistisch hochkomplexe Projekt umzusetzen. Den Text lieferte Drehbuchautor Randall Wallace, der es schon in „Braveheart“ verstand, eine Liebe vor die harte Probe eines Krieges zu stellen. Die Kamera führte John Schwartzman, der den Zuschauer mit abenteuerlichen Fahrten mitten ins Geschehen bringt. Das verhältnismäßig große Team von Editoren steuert das nötige Timing bei, was auch erwartungsgemäß präzise und erzählerisch stimmig funktioniert, wenn erfahrene Leute wie Mark Goldblatt am Schnitttisch sitzen. Die Spezialeffekte, die deshalb so gut sind, weil man sie nicht als solche erkennt, stammen aus den berühmten Häusern Industrial Light & Magic, Cinesite und Dream Quest. Die wahrhaft bombastischen Soundeffekte, die mit einer beeindruckenden räumlichen Tiefe aufwarten, wurden von Skywalker Sound abgemischt. Für die Entwicklung und Kopie der kostbaren Filmrollen war dann Technicolor höchstselbst verantwortlich. Auch der Cast ist mit Cuba Gooding Jr., Alec Baldwin, Tom Sizemore, Dan Aykroyd und Jon Voight bis in die Nebenrollen exquisit besetzt.
Alles in Allem schon eine teure Angelegenheit, was sich allerdings auch in einem handwerklich erstklassigen Film niederschlägt: Bild und Ton sind von herausragender Qualität. Nicht jedoch der Inhalt: Dramaturgisch gesehen ist der Spannungsbogen zwar gut entwickelt und der Film verliert trotz seiner enormen Länge kaum an Dynamik, dennoch wurde hier nicht ein Film nach der Geschichte gemacht, sondern die Geschichte wurde so zurechtgerückt, dass sie in den Film passt. So entsteht doch wieder die vorhersagbare Standardstory vom amerikanischen Helden und der tragischen Liebe. Nach ähnlichem Muster wie „Titanic“ aufgebaut, widmet sich der erste Teil einer Exposition der Hauptcharaktere. In einem eher schmalzigen Einstieg zeigt Michael Bay, der an diesem Projekt gewachsen ist, dass er auch gefühlslastige Szenen inszenieren kann, ohne dabei allzu sehr ins Übertriebene abzugleiten. Charakterlich bleiben die Figuren aber alle ähnlich flach, wie das Wasser in der Bucht von Pearl Harbor. Dort angekommen zeigt der Film zunächst das Leben der Amerikaner im Nichtstun, bevor der Angriff der Japaner ein Effektfeuerwerk entfacht. Die historischen Feinheiten dieses Ereignisses werden dabei mit einer großen Portion amerikanischem Patriotismus glattgebügelt: Die Tatsache, dass der Angriff als Kriegseintrittsgrund gelegen kam und dass die wichtigsten Flottenteile kurz zuvor von offensichtlich besser informierten Kreisen verlegt wurden, werden verschwiegen, die Rooseveltsche Rede vom „Tag der Schande“ dafür in epischer Breite zitiert. Doch auch suggestivere Elemente schlagen in diese Kerbe: Die Japaner sieht man nur selten und sie werden distanziert und anonymisiert, indem sie untertitelt sprechen. Das Zitat des japanischen Admirals Yamamoto vom geweckten schlafenden Giganten wird zusammenhanglos eingeworfen. Selbst die Musik von Hans Zimmer beteiligt sich mit dumpfen Klängen für die Japaner und optimistischen Fanfaren für die Amerikaner an dieser Manipulation am Zuschauer. Der Krieg selbst wird glorifiziert, Verwundete sieht man nur unscharf und verklärt. Der Abstecher zur Luftschlacht um England ist kurz, schließlich gibt es die wahren Helden nur in Amerika. Diese Selbstverherrlichung gipfelt darin, dass der Film nicht nach Pearl Harbor endet, sondern einen historisch unbedeutenden PR-Angriff auf Tokio anfügt und als großen Vergeltungsschlag feiert. Eine Stimme aus dem Off erklärt uns zum Schluss sogar, dass die Amerikaner, und nicht etwa die alliierten Truppen den zweiten Weltkrieg gewonnen hätten.
Es ist schon erstaunlich, wie man soviel politische Unkorrektheit in einen Film stecken kann, aber im Streicheln der amerikanischen Seele ist Bruckheimer eben wirklich gut, wie die im Abspann dokumentierte große Unterstützung durch das amerikanische Militär zeigt. Es ist nur schade, dass dadurch ein ansonsten guter Film verdorben wird. Hätte er nicht „Pearl Harbor“ geheißen und sich den damit verbundenen historischen Anspruch auferlegt, wäre es eine audiovisuell hochwertige epische Romanze vor dem Hintergrund eines Krieges geworden. So jedoch kann man Allen, die eine unverdrehte Version der Geschichte sehen wollen, nur zum 1970'er Film „Tora! Tora! Tora!“ raten, der aber trotz ähnlich ausgefeilter Effekte aufgrund seiner Ehrlichkeit an amerikanischen Kinokassen floppte.
Filmkritik: Pearl Harbor
Sonntag, 24. Juni 2001