Amalthea
Amalthea
Die gleichen Charaktere und eine Hand voll weiterer Verknüpfungspunkte belegen es: Dieser Film stellt die Fortsetzung des Jonathan-Demme-Films „Das Schweigen der Lämmer“ dar. Entgegen der oft gehörten Meinung ist er jedoch keineswegs der zweite, sondern vielmehr der dritte Teil einer Reihe um den kannibalischen Psychiater Dr. Hannibal Lecter. Seit dem ersten Teil namens „Roter Drache“, Originaltitel „Manhunter“ zieht sich der Gefangene einer psychiatrischen Anstalt als roter Faden durch die Trilogie und seine Geschichte wird Stück für Stück enthüllt. „Hannibal“ spielt nun nach dem Ausbruch Lecters aus der Haft, doch FBI-Agent Clarice Starling ist ihm auf den Fersen.
Wie der Titel es andeutet, steht Hannibal Lecter diesmal mehr im Mittelpunkt. Er handelt auch im Gegensatz zum Vorgängerfilm hier wesentlich aktiver. Das mag der Grund dafür sein, dass sich Dr. Lecter für meinen Geschmack etwas zu sehr verändert hat. Aus „Das Schweigen der Lämmer“ habe ich ihn noch feinsinniger, überlegter und analysierender in Erinnerung; diesmal wirkte er etwas geradliniger. Nach wie vor ist er jedoch stilvoll und achtet auf den passenden Wein zu seinen Mahlzeiten. Sir Anthony Hopkins jedenfalls scheint diese Rolle im Blut zu liegen: Er gibt erneut eine überzeugend diabolische Vorstellung.
Ob die charakterliche Diskontinuität nun aus dem Screenplay von David Mamet und Steven Zaillian herrührt, oder aus dem Roman von Thomas Harris, der dem Film zugrundeliegt, kann ich nicht beurteilen, da ich beides nicht gelesen habe. Auch die allgemeine Schwäche der Story, welche ziellos umhertorkelt, mag ich nicht zuordnen. Ich konnte jedenfalls keinen durchgängigen Zusammenhang finden, die Fortsetzung wirkt sehr erzwungen und psychologisch weniger ausgereift, der Charakter des Mason Verger erscheint wie ein Notbehelf, um die Handlungsinseln zu verbinden.
Nichtsdestotrotz ist dieser Film brillant umgesetzt. Das bewährte und vielfach Oscar-nominierte Team von „Gladiator“, bestehend aus Regiealtmeister Ridley Scott, Director of Photography John Mathieson und Editor Pietro Scalia reisst es herum und verwandelt die dünne Story in einen filmischen Genuss. Heraus kommt eine bildgewaltige, rauschhafte Elegie des Grauens. Die Bildkomposition Mathiesons, die noblen Kostüme von Janty Yates und das Musikarrangement mit Opernarien tragen zur poetischen Eleganz des Films ebenso viel bei, wie die düstere, um den Zuschauer herumschleichende Komposition von Hans Zimmer und die unheilschwangere Gesamtästhetik Ridley Scotts zu seiner Bedrohlichkeit. Diese Dualität erreicht in den kontrastreichen Szenerien von Florenz ihren Höhepunkt. Einzig Clarice Starling scheint mir nicht ganz in diesen Film zu passen. Möglicherweise habe ich zu sehr eine zweite Jodie Foster erwartet, aber mir agiert Julianne Moore etwas zu distanziert. Vielleicht ist dies aber auch als Gegengewicht zum Genießer Lecter so beabsichtigt?
Wer von diesem Film eine Auflösung der Fragen aus „Das Schweigen der Lämmer“ erhofft, der wird enttäuscht. Der Film beeindruckt mehr, wenn man ihn nicht als Fortsetzung, sondern als eigenständiges Werk betrachtet. Leider knüpft er dazu aber zu stark an den Vorgänger an. Tatsächlich ist dieser Film ein Gegenpol zu „Das Schweigen der Lämmer“. Letzterer eher zielstrebig erzählend und auf Charakteren, Story und Dialogen aufbauend, dieser hier von bluttriefenden Bildern und optischer sowie akustischer Kompositionskraft getragen.
Filmkritik: Hannibal
Dienstag, 20. Februar 2001