Amalthea
Amalthea
Es scheint, als würden die wirklich guten Filme dieses Jahr erst im Herbst in die Kinos kommen. Dieses Meisterwerk ist ein wahres Grusel-Lehrstück. Robert Zemeckis beweist hier einmal mehr seine Vielseitigkeit. Er erschafft eine durch die Verwurzelung im Alltäglichen beklemmende Atmosphäre, deren Spannung er kontinuierlich zu steigern weiß. Er benutzt dazu nach Regeln der alten Schule Schockeffekte zumindest anfangs nur sparsam. Es ist vielmehr die Hinführung zum vom Zuschauer ohnehin erwarteten Schock, die eine regelrecht quälende Ungewissheit ausstrahlt.
Suspense verbreitet Zemeckis durch die geschickte Zitierung von Genreelementen, größtenteils Tribute an Altmeister Hitchcock. So klingt deutlich „Das Fenster zum Hof“ an, die Duschszene gegen Ende ruft „Psycho“ in Erinnerung. Aber auch dezente Dinge wie eine aufkommende Brise tragen ihren Teil zum ständigen, unterschwelligen Gefühl des Unbehagens bei. Schade fand ich lediglich, dass sich diese Elemente nicht konsequenter durch die Handlung ziehen; zumindest konnte ich keines davon als roten Faden ausmachen, so wie ihn eben die Farbe Rot in „The Sixth Sense“ darstellte. Einer der wenigen Wermutstropfen bei diesem Film.
Ansonsten ist die Story außerordentlich gelungen. Die klassische Spannungskurve wird durch einige Haken, die die Geschichte schlägt, quasi aufgebrochen. Durch die stark geschrumpfte Exposition kommt der Film auch recht schnell zur Sache und baut von da an Beklemmung und Angst im Zuschauer auf, die nie entscheidend nachlassen oder einbrechen.
Auch fotografisch ist der Film ein Hochgenuss. Don Burgess lässt im Bild stets viel Raum für unerwartete Dinge. Nicht selten ertappte ich mich dabei, gar nicht auf Schauspieler und Handlung, sondern auf Elemente im Hintergrund zu achten. Geschickt hantiert Burgess dabei mit verschiedenen Fokusebenen und verbergenden Nahaufnahmen und Halbtotalen, bei denen sich die Ecken des Raumes, die der Zuschauer gern einsehen würde, eben gerade nicht im Bild befinden. Er schreckt dazu auch vor filmisch schwierigen spiegelnden Flächen und interessanten Schwenks nicht zurück. Tatkräftige Unterstützung findet er bei den verschiedenen beteiligten Effektschmieden wie Sony Imageworks, die sehr gezielt und keinesfalls vordergründig eigesetzt wurden.
Der Schnitt kombiniert das gedrehte Material zu einer Folter für den Zuschauer im positiven Sinne. Die quälende Länge bis zum durch schnellen Umschnitt gekennzeichneten Schock ist typisch. Das Timing scheint Editor Arthur Schmidts große Stärke zu sein.
Verstärkt werden diese Schocks durch hammerschlagartig einfallende Soundeffekte, die an Dynamik ihresgleichen suchen. Dazu ertönt ein Soundtrack von Alan Silvestri, der sehr klangstark ist, aber an entscheidenden Stellen auch durch Abwesenheit zu Glänzen weiß. Direktionale Effekte sind mir nicht speziell aufgefallen, was aber daran liegen kann, dass ich mit dem Geschehen auf der Leinwand genügend beschäftigt war. Da von mir lediglich in Dolby Digital gehört, kann ich nur spekulieren, dass die brillantere und dynamischere DTS-Wiedergabe der Soundkulisse sicher noch mehr Wirkung verliehen hätte.
Es gibt nur wenige Sprechrollen im Film, was ihn zusammen mit der örtlichen Fixierung fast zum Kammerspiel macht. Insbesondere Michelle Pfeiffer überrascht durch ihr überzeugendes Auftreten.
Alles in Allem ist Robert Zemeckis und seinem eingespielten Team ein erstklassiger Suspensethriller nach Hitchcocks Vorbild gelungen, der aber im Finale durch die nicht Enden wollenden Schockeffekte auch eigene Wege geht. So bleibt es auch dem Zuschauer überlassen, wieweit er die Geistererscheinungen für real hält oder der Vorstellung der Charaktere entsprungen glaubt. Am Ende wirkte deren offensives Auftreten für mich einen Tick zu aufdringlich inszeniert. Die finale Wendung ist sicher sehr überraschend, wurde aber bereits zu Beginn des Films von Claire Spencer prophetisch im Schicksal der Nachbarin gesehen.
Die Qualität des Films überrascht besonders, wenn man sich vor Augen hält, dass er nur eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme des Teams während der Zwangspause beim Dreh zu „Cast Away“ darstellt. Doch wie auch immer dieser dann qualitativ ausfällt, „What Lies Beneath“ legt die Latte sehr hoch.
Originaltitel
What Lies Beneath
Erscheinungsjahr
2000
Regie
Robert Zemeckis
#film
Filmkritik: Schatten der Wahrheit
Samstag, 7. Oktober 2000