Amalthea
Amalthea
Wenn zwei etablierte, ausgezeichnete und eigensinnige Künstler wie der dänische Regisseur Lars von Trier und die isländische Sängerin Björk aufeinandertreffen, dann entsteht große Kunst oder ein großer Streit. In diesem Fall passierte beides. Björk geht in der Rolle der erblindenden Mutter, die nach Amerika ging, um ihrem ebenfalls Augenkranken Sohn eine Operation zu erkämpfen, derartig auf, dass sie mehr als einmal mit Triers Ansichten kollidierte, was man dem Film aber nicht anmerkt.
Lars von Trier, der Regie und Drehbuch übernahm, erzählt diesen Film an die Dogma-Tradition angelehnt. In diesem Konzept vom Filmemachen, welches die Selbstbeschränkung zur Konzentration auf das Wesentliche nutzt, wird unter anderem die Kamera von Hand gehalten. Die deshalb eingesetzte Sony DV-Kamera wird von Robby Müller geführt. Schon nach wenigen Einstellungen hat man sich an die Wackelei gewöhnt und bekommt Bilder von ungeheurer Plastizität und Ausdruckskraft geboten. Streng linear erzählend folgt man dem Weg der Hauptfigur, von Nebenhandlungen erfährt man nur das Nötigste.
Die Geschichte dreht sich wie so oft bei Trier um Krankheit. Der Hauptcharakter Selma Yeskova verliert sein Augenlicht und kompensiert dies durch die Liebe zum Rhythmus und zum Musical. In tagträumerischen Gesangseinlagen, auf die auch der Titel anspielt, kann Selma ihrer körperlichen Beschränkung entfliehen und sich von ihren Problemen befreien. Doch fließend oder abrupt bricht die Realität stets wieder über sie herein. Hier offenbart sich dann ein zweites Hauptmotiv von Trier: der Fluch der guten Tat. Selma spart für eine Operation ihres Sohnes und wird dabei ohne eigenes Wollen am Tod ihres verschuldeten Obdachgebers beteiligt. Ihre starke und eigensinnige Art vor Gericht und in Haft stößt auf Unverständnis, doch sie gibt ihr Ziel nicht auf. Angesichts ihrer Hinrichtung holt sie ihren Traum in die Realität und fängt an zu singen. Da sie jedoch den letzten Song in Musicals im Wissen um das bevorstehende Ende stets ignorierte, behauptet sie, es wäre das vorletzte Lied. Mit ihrem Tod kehrt schlagartig Stille ein. Ein seelenhafter Aufstieg der Kamera beendet den Film.
Lars von Triers Filme enthalten sich jeder moralischen Stellungnahme und fordern geistige Arbeit vom Rezipienten. Wer diese aufbringt, dem erzählt der Film eine ergreifende Geschichte, die am Ende Tod und Hoffnung vereint.
Originaltitel
Dancer in the Dark
Erscheinungsjahr
2000
Regie
Lars von Trier
#film
Filmkritik: Dancer in the Dark
Montag, 30. Juli 2001